So werden 5G-Grenzwerte „eingehalten“
Offiziell sollen Standortdatenblätter und Nachmessungen garantieren, dass die Bevölkerung auch bei voller 5G-Leistung unterhalb der gesetzlichen Grenzwerte bleibt. In der Praxis zeigt sich am Beispiel einer Anlage eines Dorfes im Kanton Zürich jedoch etwas anderes: Erst wird knapp unter 5 V/m geplant, dann werden bei der „Kontrolle“ Überschreitungen festgestellt – und anschliessend die Anlage so lange ferngesteuert nachgeregelt, bis das Messergebnis schön aussieht. Was auf dem Papier wie Kontrolle wirkt, ist in Wahrheit ein System „Bauen – nachregeln – schönrechnen“.

 

In Weisslingen, an der Dorfstrasse 7.3, wurde eine bestehende Mobilfunkanlage von Salt und Sunrise mit adaptiven Antennen erweitert und die Sendeleistung erhöht (Bau Nr. 2023-046, Kat. Nr. 1916). Für solche Projekte müssen die Betreiber ein sogenanntes Standortdatenblatt (StDb) einreichen, in dem sie berechnen, wie stark die Strahlung an den nächstgelegenen Wohnungen und Arbeitsplätzen sein wird.

Der gesetzliche Anlagegrenzwert beträgt hier 5 V/m (Volt pro Meter). Die Berechnungen im StDb sollen eigentlich sicherstellen, dass dieser Grenzwert mit genügend Reserve eingehalten wird.

Was im ersten Standortdatenblatt steht

Im Standortdatenblatt vom 06. Dezember 2023 werden für die am stärksten belasteten Orte – die sogenannten OMEN – folgende Prognosen aufgeführt:

  • OMEN 6 (Wohnen): 4,42 V/m (Prognose)
  • OMEN 2b (Arbeiten): 4,70 V/m (Prognose)
  • OMEN 10 (Wohnen): 4,99 V/m (Prognose – praktisch direkt am Grenzwert von 5 V/m)

Der OMEN 9 erscheint hier noch nicht in der „Top-3-Tabelle“, taucht aber später im Standortdatenblatt mit 4,21 V/m (Prognose) auf.

Schon diese Werte zeigen: Die Anlage wird bewusst an die Grenze herangefahren. Sicherheitsreserven sind praktisch nicht vorhanden.

Was nach der Inbetriebnahme passiert

Nach der Bewilligung und dem Bau der Anlage wurde am 15. Juli 2025 eine sogenannte „Nachmessung“ durchgeführt. Das vollständige Messprotokoll wurde in den Akten jedoch nicht offengelegt. Was wir sehen, ist nur eine kurze Tabelle im revidierten Standortdatenblatt vom 16. Juli 2025 mit der Überschrift „Messwert nach Reduktion gemäss Messbericht vom 15.07.2025“.

Dazu findet sich der bemerkenswerte Kommentar:

„Neuberechnung aufgrund Messbericht vom 15.07.2025 mit Überschreitung an OMEN 09 und 10. Leistung wurde in den Sektoren 2STJKE, 2STDSUO und B_SRHI reduziert, sowie das Tilt in Sektor C_SRHG.“

Mit anderen Worten: An mindestens zwei Orten (OMEN 9 und 10) wurde der Grenzwert von 5 V/m überschritten.

In der Tabelle selbst erscheinen jedoch nur noch die bereits reduzierten Messwerte, zum Beispiel:

  • OMEN 9: 4,98 V/m (Messwert nach Reduktion)
  • OMEN 10: 4,97 V/m (Messwert nach Reduktion)

Die ursprünglichen – grenzwertüberschreitenden – Werte bleiben unsichtbar. Das vollständige Messprotokoll, das diese Zwischenschritte dokumentieren müsste, wird der Öffentlichkeit und den Betroffenen grundsätzlich “wegen dem Schutz der Privatspäre” nicht zugänglich gemacht. Siehe unser Artikel hier https://www.5gfrei.ch/index.php/artikel-und-studien2/20-messy-geheim

Wie wird überhaupt „gemessen“?

Hinzu kommt: Die „Messung“ ist in der Praxis keine neutrale Feldmessung mit unabhängigen Technikern, sondern eine Rechenübung auf Basis des Funkkanals. Vereinfacht gesagt:

  1. Man schaut auf den Datenverkehr eines bestimmten Kanals (z.B. jener, der nach Endgeräten sucht).
  1. Daraus wird theoretisch berechnet, welche Sendeleistung die Antenne ungefähr haben können, diese Rechnung basiert auf Werten, die der Mobilfunkbetreibern den Messtechnikern nun auf der Basis der Messwerte mitteilt. ;-)
  2. Mit weiteren Formeln wird daraus eine Feldstärke in V/m „hochgerechnet“.

Wenn dabei Überschreitungen herauskommen, haben die Betreiber die Möglichkeit, per Fernzugriff sofort die Sendeleistung zu reduzieren oder die Antenneneinstellungen zu verändern.

Genau das ist in Weisslingen passiert: Die Techniker der Betreiber drehen so lange an den Antenneneinstellungen, bis die hochgerechneten Werte bei etwa 4,99 V/m liegen. Erst diese „Korrekturwerte“ erscheinen dann als angebliches Messergebnis.

Neues Standortdatenblatt – neue Zahlen, neue Wirklichkeit?

Einen Tag später, am 16. Juli 2025, wird ein neues Standortdatenblatt erstellt, wieder mit einer Tabelle der berechneten Feldstärken („Ergebnisse der Zusatzblätter 4a oder 4b“).

Dort tauchen für dieselben Orte plötzlich andere, deutlich freundlichere Prognosewerte auf, z.B.:

  • OMEN 9: 4,17 V/m (berechnet)
  • OMEN 10: 4,50 V/m (berechnet)

Das ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass kurz zuvor im selben Dokument noch 4,98 V/m bzw. 4,97 V/m als „Messwert nach Reduktion“ angegeben wurden.

Damit ist klar:

  • Entweder die Berechnungsmodelle sind so fehlerhaft, dass sie die reale Belastung nicht korrekt abbilden können, oder
  • nach der „Messung“ wurden die Anlageparameter erneut verändert, ohne dass eine neue, unabhängige und vollständige Feldmessung stattgefunden hätte.

In beiden Fällen wird das eigentliche Ziel – vorgängig nachzuweisen, dass die Bevölkerung sicher unterhalb der Grenzwerte bleibt – verfehlt. Stattdessen haben wir ein System „Schönreden - Bauen – nachjustieren – schönrechnen“.

Warum das problematisch ist

  • Die Bevölkerung sieht in den Akten am Ende nur noch die geschönten Endergebnisse. Die zwischendurch überschrittenen Grenzwerte verschwinden in geheim gehaltenen Messprotokollen.
  • In der Schweiz werden keine unangekündigten, unabhängigen Feldmessungen durch neutrale Behörden durchgeführt. Damit besteht ein risikoloser Anreiz, für Messungen kurz „runterzudrehen“ und später wieder hochzufahren.
  • Selbst nach den Nachjustierungen liegen die Werte noch knapp unter dem Grenzwert. Sicherheitsreserven für Störungen, Reflexionen oder weitere Antennen in der Nähe gibt es praktisch nicht.

Im Ergebnis entsteht für die Betroffenen der Eindruck: „Alles im grünen Bereich“, obwohl die Unterlagen zeigen, dass es Grenzwertüberschreitungen gab und die Prognosemodelle der Betreiber nicht zuverlässig sind.

Teil 2 – Vertiefung dieses Artikels für Fachleute

Im Folgenden gehe ich für fachlich Interessierte und Behördenvertreter etwas detaillierter und nachprüfbar auf die Daten und den Ablauf ein und zeige, warum die vorliegenden Unterlagen aus technischer und regulatorischer Sicht erhebliche Fragen aufwerfen.

1. Sachlage in kompakten Worten

Projekt: Erweiterung einer bestehenden Mobilfunkanlage mit adaptiven Antennen inkl. Sendeleistungserhöhung (Korrekturfaktor) durch Salt und Sunrise

  • Standort: Weisslingen, Dorfstrasse 7.3
  • Kataster-Nr.: 1916
  • Bau-Nr.: 2023-046
  • Bauherren: Salt & Sunrise
  • Stationscodes: ZH_3208C und ZU414-1

1.1 Erste Prognose (Standortdatenblatt vom 06.12.2023)

Im ersten Standortdatenblatt (Bestandteil des Bauantrags) werden auf Seite 4 für die am stärksten belasteten Orte mit empfindlicher Nutzung (OMEN) folgende Feldstärken prognostiziert:

  • OMEN 2b – Dorfstrasse 7.2, EG, Arbeiten: 4,70 V/m
  • OMEN 6 – Illnauerstrasse 17, DG, Wohnen: 4,42 V/m
  • OMEN 10 – Dorfstrasse 3b, DG, Wohnen: 4,99 V/m

Der OMEN 9 (Illnauerstrasse 25, DG, Wohnen) wird in dieser Top-3-Tabelle nicht geführt, erscheint aber auf Seite 29 mit einer prognostizierten Feldstärke von 4,21 V/m.

Damit liegen mehrere OMEN-Werte deutlich über 80 % des Anlagegrenzwerts von 5 V/m, einer sogar bei 100%. Aus Sicht der Vorsorge und der Prognosesicherheit ist dies bereits kritisch, insbesondere wenn Reflektionen und Mehrwegeffekte in der angewandten Theorie gar nicht berücksichtigt werden.

1.2 Nachmessung und Leistungsreduktion am 15.07.2025

Im Standortdatenblatt vom 16.07.2025 findet sich auf Seite 4 eine Tabelle „Messwert nach Reduktion gemäss Messbericht vom 15.07.2025“. Die Messfirma und der Titel des Messberichts sind in den Akten nicht angegeben.

Die Tabelle weist unter anderem folgende „Messwerte nach Reduktion“ aus:

  • OMEN 2b: 1,37 V/m
  • OMEN 6: 2,89 V/m
  • OMEN 9: 4,98 V/m
  • OMEN 10: 4,97 V/m

Begleitet wird dies durch den Kommentar auf Seite 6:

„Neuberechnung aufgrund Messbericht vom 15.07.2025 mit Überschreitung an OMEN 09 und 10. Leistung wurde in den Sektoren 2STJKE, 2STDSUO und B_SRHI reduziert, sowie das Tilt in Sektor C_SRHG.“

Daraus folgt logisch:

  1. Vor der Reduktion gab es Messwerte über 5 V/m an OMEN 9 und 10 (sonst wäre von keiner „Überschreitung“ die Rede).
  2. Das beweist bereits, dass die Prognosen im Standortdatenblatt auf falschen Theorien aufbaut, denn sonst würden Messungen der Momentaufnahmen im realen Betrieb immer niedrigere als die prognostizierten Werte ergeben.
  1. Die im Messprotokoll schliesslich publizierten Werte sind bereits nachgeregelte Werte, nicht die ursprüngliche Strahlenbelastung.
  1. Das vollständige Messprotokoll, das den zeitlichen Verlauf (Vorher–Während der Anpassung–Nachher) dokumentieren müsste, wird der betroffenen Bevölkerung nicht zugänglich gemacht.

Damit wird die Nachmessung de facto zu einer betrieblichen Optimierung:

  • Man misst und errechnet einen überschrittenen Wert,
  • reduziert live die Leistung und/oder ändert Antennendiagramm und Tilt,
  • misst/rechnet erneut
  • wiederholt das Verfahren, bis das Ergebnis “stimmt”
  • und schreibt nur noch das Endergebnis in den Schlussbericht.

1.3 Revidierte Prognose – „Ergebnisse der Zusatzblätter 4a oder 4b“)

Im selben Standortdatenblatt vom 16.07.2025 findet sich zusätzlich eine Tabelle „Ergebnisse der Zusatzblätter 4a oder 4b“, welche die neuen berechneten Feldstärken ausweist. Für die zentralen OMEN lauten diese u.a.:

  • OMEN 2b – Arbeiten: 4,56 V/m
  • OMEN 6 – Wohnen: 4,40 V/m
  • OMEN 9 – Wohnen: 4,17 V/m
  • OMEN 10 – Wohnen: 4,50 V/m

Hier zeigt sich ein gravierender Widerspruch:

  • Während beim OMEN 9 und 10 kurz zuvor noch 4,98 V/m bzw. 4,97 V/m als „Messwert nach Reduktion“ ausgewiesen wurden,
  • behauptet die revidierte Prognose nun nur noch 4,17 V/m bzw. 4,50 V/m.

Diese Diskrepanz lässt sich nur auf zwei Arten erklären:

  1. Ungeeignete Modelle: Die verwendeten Berechnungsmodelle (inklusive Korrekturfaktor für adaptive Antennen) sind nicht in der Lage, die reale Feldstärke unter Betriebsbedingungen zuverlässig abzuschätzen. Dann ist die Grundlage für die Bewilligung (Prognose-Sicherheit) nicht gegeben.
  1. Weitere Änderungen ohne Messnachweis: Die Anlage wurde nach der „Messung nach Reduktion“ erneut angepasst (Leistung, Antennendiagramm, Tilt etc.), und die neuen berechneten Werte beziehen sich auf einen Betriebszustand, der nicht durch ein vollständiges Messprotokoll belegt ist. In diesem Fall wäre eine weitere Nachmessung zwingend, um die tatsächliche Einhaltung des Anlagegrenzwerts nachzuweisen.

1.4 Strukturelle Anreizprobleme

Hinzu kommt ein systemisches Problem: In der Schweiz werden nach aktuellem Kenntnisstand keine unangekündigten Messungen der Feldstärke durch neutrale Behörden durchgeführt. Messungen werden terminlich mit dem Betreiber abgestimmt und der Betreiber kann währenddessen die Anlageparameter in Echtzeit anpassen.

Damit entsteht ein struktureller Anreiz, während Messungen und Kontrollen die Anlage bewusst konservativ zu fahren und im Alltagsbetrieb wieder höhere Leistungen zu nutzen, insbesondere zur Versorgung entfernter oder schlecht angebundener Endgeräte. Für die Bevölkerung ist dies nicht überprüfbar.

Darüber hinaus werden hier auch noch Äpfel mit Birnen verglichen:
Das Standortdatenblatt ist als Prognoseinstrument für den Worst Case gedacht. Es soll zeigen, dass selbst im ungünstigsten Betriebszustand – also bei voller Sendeleistung, ungünstiger Ausrichtung und maximaler Auslastung – die gesetzlichen Grenzwerte eingehalten werden.

Eine Nachmessung hingegen kann immer nur eine Momentaufnahme liefern, die vom aktuellen Datenverkehr abhängt. Die Funklast schwankt im Tagesverlauf erheblich. Eine einmalige, angekündigte Messung unmittelbar nach Inbetriebnahme – bei der die Anlage zusätzlich noch heruntergeregelt werden kann – entspricht in etwa folgendem Bild: Man vereinbart mit einem Autofahrer einen Termin auf der Autobahn, misst genau einmal seine Geschwindigkeit und stellt fest, dass er in diesem Moment unter 120 km/h gefahren ist. Würde man danach alle Radarkontrollen für diesen Fahrer abschaffen, würde jeder sofort erkennen, wie absurd dieses System ist. Genau so absurd ist es, die gesamte Lebensdauer einer Mobilfunkanlage mit einer einzigen, gesteuerten Momentaufnahme „abzusegnen“.

Quellenangaben

  1. Standortdatenblatt Mobilfunkanlage Weisslingen, Dorfstrasse 7.3
  • Erweiterung einer bestehenden Mobilfunkanlage mit adaptiven Antennen inkl. Sendeleistungserhöhung (Korrekturfaktor) durch Salt und Sunrise, Bau Nr. 2023-046, Kat. Nr. 1916, Gemeinde Weisslingen.
  • Fassung vom 06.12.2023, Bestandteil des Bauantrags.
    • Seite 4: Tabelle „Strahlung an den drei höchstbelasteten Orten mit empfindlicher Nutzung (OMEN)“ mit:
      • OMEN 2b – Dorfstrasse 7.2, EG, Arbeiten: 4,70 V/m (Prognose)
      • OMEN 6 – Illnauerstrasse 17, DG, Wohnen: 4,42 V/m (Prognose)
      • OMEN 10 – Dorfstrasse 3b, DG, Wohnen: 4,99 V/m (Prognose)
    • bild1.png
    • OMEN 9 – Illnauerstrasse 25, DG, Wohnen: 4,21 V/m (Prognose) auf späterer Seite des Standortdatenblatts.
  1. Revidiertes Standortdatenblatt zur gleichen Mobilfunkanlage
  • Fassung vom 16.07.2025, Gemeinde Weisslingen.
    • Seite 4: Tabelle „Messwert nach Reduktion gemäss Messbericht vom 15.07.2025“:
  • bild2.png
      • OMEN 2b: 1,37 V/m (Messwert nach Reduktion)
      • OMEN 6: 2,89 V/m (Messwert nach Reduktion)
      • OMEN 9: 4,98 V/m (Messwert nach Reduktion)
      • OMEN 10: 4,97 V/m (Messwert nach Reduktion)
    • Kommentar auf Seite 6 ganz unten:
      „Neuberechnung aufgrund Messbericht vom 15.07.2025 mit Überschreitung an OMEN 09 und 10. Leistung wurde in den Sektoren 2STJKE, 2STDSUO und B_SRHI reduziert, sowie das Tilt in Sektor C_SRHG.“
    • Name der Messfirma und Titel des Messberichts vom 15.07.2025 sind in den vorliegenden Akten nicht angegeben.
  1. Revidiertes Standortdatenblatt zur gleichen Mobilfunkanlage
  • Ebenfalls Fassung vom 16.07.2025.
    • Seite 4: Tabelle „Ergebnisse der Zusatzblätter 4a oder 4b“ mit u.a.:
      • OMEN 2b – Arbeiten: 4,56 V/m (berechnet)
      • OMEN 6 – Wohnen: 4,40 V/m (berechnet)
      • OMEN 9 – Wohnen: 4,17 V/m (berechnet)
      • OMEN 10 – Wohnen: 4,50 V/m (berechnet)

Die zitierten Zahlen stammen aus den genannten Standortdatenblättern. Die Akten wurden uns von einem Einsprecher zur Verfügung gestellt.